Isabell Schnellbügel & Franziska Duerl Pressefoto
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Zwischen Deepfake und Deep Trust

Isabelle Schnellbügel und Franziska Duerl über Vertrauensbildung als Priorität, Wahrhaftigkeit als Kapital und Strategie als navigierende Kraft.

Am 4. Juli findet – nach einer erfolgreichen Premiere im vergangenen Jahr – die STRAT CON 2025 in Berlin statt. Die Veranstaltung steht diesmal unter dem Thema “Gimme some truth”, das Speaker*innen Line-up umfasst unter anderem Michel Abdollahi (Buchautor und Moderator), Cathleen Berger (Bertelsmann Stiftung) Kristina Bonitz, (Serotonin), Lucy Jameson (Uncommon), Michael Kleinaltenkamp (FU Berlin), Raphael Kneer (User Rights), Max Lederer (Jung von Matt), Matthew Moran (OAG Worldwide), Harry Román-Torres (Major/ex Droga 5), Julia Rosada (Universität Hamburg) und Stephen Schuster (HDM Stuttgart). Wie schon im vergangenen Jahr sind Isabelle Schnellbügel und Franziska Duerl, Sprecherinnen des GWA The Strategy Forums, auch Hosts der STRAT CON 2025.

Ihr schreibt über das Motto der diesjährigen STRAT CON: “Wahrheit steht unter immensem Druck. Vertrauen erodiert, Authentizität und Manipulation verschwimmen.” Ist die Lage tatsächlich so schlimm – und was hat das alles mit Markenkommunikation zu tun?

Isabelle Schnellbügel: Noch vor ein paar Jahren gab es eine Grundlage, auf die Menschen sich gemeinhin verständigen konnten, und das waren Fakten. Das hat sich in den letzten Jahren zunehmend verändert. Sei es im politischen Diskurs, auf sozialen Plattformen oder durch den flächendeckenden Einzug von Artificial Intelligence (AI) – das Faktische spielt oft keine so große Rolle mehr.

Bereits mehr als die Hälfte der Menschen stellen die Authentizität von Online-Inhalten infrage, so das Ergebnis der Life Trends 2025 von Accenture Song. Die Kernfrage von Konsument*innen ist also: Kann ich dem, was ich sehe, vertrauen? Ist das echt? Daraus folgt die kollektive Sorge um einen verlässlichen Realitätsbezug.

Für Unternehmen ist das ein Risiko. Auf der einen Seite fördert das aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Klima eine skeptische, abwartende, risikoaverse Haltung bei den Unternehmen selbst. Das hat bereits in der Vergangenheit Investitionen, Innovation und Wachstum gebremst. Auch Konsument*innen beeinflussen diese Entwicklungen – neben den ungünstigen ökonomischen Voraussetzungen führt die Unsicherheit, falsche Entscheidungen zu treffen, zu zusätzlichem Zögern bei Kaufentscheidungen.

Die Verpflichtung zu Wahrheit und stringenter Haltung in Politik und Gesellschaft leuchtet ein. In der Markenkommunikation ist die Sache allerdings etwas komplizierter oder anders gefragt: Wieviel Wahrheit wollen und vertragen Konsumenten und Werbungtreibende überhaupt?

Isabelle Schnellbügel: Das kann man aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten.

Der oben beschriebene Vertrauensverlust von Konsument*innen in digitale Inhalte und damit auch in von Unternehmen bereitgestellte Informationen ist durchaus Grund zur Sorge. Mehr denn je müssen Unternehmen Vertrauensbildung an jedem Touchpoint, in jeder Interaktion zur Priorität machen. Als Werbetreibende sollten sie zudem hinterfragen, an welchen Touchpoints sie heute präsent sein wollen. Letztlich kulminiert der Handlungsaufruf für alle Werbetreibende in einem: Verantwortung übernehmen – für die eigenen Entscheidungen, für die Angebote, die wir Kund*innen machen, und für die Art und den Ort der Kommunikation. So rücken ethische Fragen wieder klar in den Vordergrund.

Gleichzeitig kann man sich aber schon fragen: Braucht man heute noch Wahrheit? Sind nicht genau die, die sie etwas verbiegen, schneller und erfolgreicher? Ein interessantes Spannungsfeld, dem wir gemeinsam mit unseren Speaker*innen auf den Grund gehen wollen.

Ihr wollt Euch im Rahmen der STRAT CON mit zahlreichen Expert*innen auf “die Suche nach Wahrheit” machen – in Strategie und Insights, in Gesellschaft und Politik, im Netz, in Marken, in KI und in der Philosophie. Das hört sich gut an, aber was bedeutet das konkret: Was erwartet Ihr, was erwartet die Teilnehmenden?

Isabelle Schnellbügel: Wir haben ganz bewusst eine große Bandbreite von Speaker*innen eingeladen, aus unterschiedlichen Bereichen und mit unterschiedlichen Hintergründen. Entsprechend erwarten wir unterschiedlichste Perspektiven auf das Thema Wahrheit, neue Einblicke, spannende Gedankenanstöße und auch kontroverse Diskussionen. Die STRATCON soll im besten Sinne zum Nachdenken anregen, zum Diskurs, zur Reibung an neuen Gedanken und Perspektiven. Zudem haben wir aufgrund des Feedbacks aus dem vergangenen Jahr mehr Zeit für den Austausch mit Speaker*innen und untereinander eingeplant.

Nicht nur Wahrheit, auch Haltungskommunikation gerät gerade massiv unter Druck. Besonders gut zu sehen ist das beim Thema DEI&B. Droht der Welt ein breiter Backlash – und was können oder sollten Agenturen als Berater*innen und Dienstleister von Marken dagegen tun?

Franziska Duerl: Der Backlash ist real – und er ist strategisch unterschätzt. Die Ära der Haltungskommunikation ist in eine neue Phase eingetreten: vom Applaus zur Abrechnung. Besonders beim Thema DEI&B kippt der Ton – von einer erhofften gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit zur kulturellen Reizfläche. Doch dieser Backlash ist kein Ende von Haltung. Sondern der Stresstest ihrer Echtheit. Agenturen sollten ihn nicht fürchten, sondern nutzen: als Anlass, Haltung robuster, reflektierter und relevanter zu gestalten. Nicht lauter. Sondern tiefer.

Zu viele Marken haben Haltung als Kampagne verstanden, nicht als Struktur. Als Message, nicht als Mission. Und so wurde Haltung angreifbar – austauschbar, anbiedernd, nicht belastbar.

Ihr seid beide Strateginnen und verantwortet die STRAT CON in Eurer Funktion als Sprecherinnen von The Strategy Collective des GWA. Welche besondere Rolle nimmt denn Strategie in der Markenkommunikation bei den Themen Wahrheit und Haltung ein?

Franziska Duerl: Die besondere Rolle der Strategie liegt darin, Wahrhaftigkeit als Kapital zu begreifen – nicht bloß als Werkzeug. In einer übersteuerten Kommunikationswelt wird Ehrlichkeit zur Subversion. Strategische Relevanz heißt heute: Nicht beschönigen oder verschleiern, sondern sichtbar machen und benennen – auch wenn es weh tut. Realität nicht nur zu gestalten, sondern sie auch auszuhalten.

Und Strategie muss Wahrheit in Szenarien denken und Empathie modellieren: Welche Wahrheiten gelten in welcher Welt? Und wie fühlt sich Orientierung an für Menschen, die nicht mehr sicher sind, was noch echt ist? Mit Blick auf Haltung heißt das nicht: Wie bekennen wir uns zur Haltung? Es heißt: Wie vermeiden wir performative Leerformeln – und schaffen Relevanz durch substanzielle, langfristige Entscheidungen? Damit wird Strategie zur navigierenden Kraft zwischen technologischem Deepfake und menschlichem Deep Trust.

Wenn es um Wahrheit und Kommunikation geht, denken viele vermutlich zuerst an Künstliche Intelligenz (KI). Wie gelingt unserer Branche die Balance zwischen KI als Innovationstreiber und KI als Fake-Schleuder?

Franziska Duerl: KI ist das schärfste Werkzeug unserer Zeit – und das gefährlichste, wenn es führungslos bleibt. In der Kommunikation wird KI zur doppelten Kraft: Sie demokratisiert Kreativität, beschleunigt Prozesse, generiert Content in Sekundenschnelle. Aber sie kann auch Echtheit simulieren, Vertrauen unterminieren, Realität verzerren.

Die Branche steht damit vor einer simplen, unbequemen Frage: Nutzen wir KI zur Klärung oder zur Tarnung? Die Balance gelingt nur, wenn wir Strategie nicht durch Technologie ersetzen, sondern Technologie strategisch zähmen.

Redaktion statt Replikation: KI darf nicht zum Content-Kopierer werden, sondern muss kuratiert, geprüft und kontextualisiert werden – wie ein Teammitglied mit Superkräften, aber ohne Gewissen. Denn die eigentliche Gefahr ist nicht, dass KI täuscht – sondern dass niemand mehr fragt, ob getäuscht wurde. Innovation ohne Integrität ist Täuschung mit Effizienzsteigerung.

Und wo geht die Reise wohl hin – wird Wahrheit in der Kommunikation künftig ein immer selteneres, aber hochgeschätztes Gut oder verliert sie schlicht ihre Bedeutung?

Franziska Duerl: Man könnte tatsächlich meinen, dass Wahrheit zu einem überflüssigen Konzept wird. Wir driften in eine Welt, in der emotionale Stimmigkeit zählt – nicht der Beleg, sondern die Bestätigung. Eine Welt, in der nicht mehr in Wahrheiten kommuniziert wird, sondern in Wirklichkeitsblasen. Gefühl schlägt Fakt. Resonanz verdrängt Realität. Und wenn alles gleichzeitig wahr und falsch scheint, droht die Gefahr, dass Menschen das Bedürfnis nach der einen Wahrheit verlieren.

Dennoch: Wahrheit verschwindet nicht – sie zersplittert. Damit wird sie zum Luxusgut.
Wer Echtheit beweisen kann, wird zum Fixpunkt im Flimmern. Und Strategie steht an der Schwelle. Die strategische Aufgabe ist nicht nur Wahrheit aufzudecken und auszuhalten, sondern sie neu zu verorten. Markenkommunikation der Zukunft braucht nicht immer eine absolute Wahrheit – aber sie braucht glaubwürdige Kohärenz, transparente Absichten und überprüfbare Haltung. So ist Wahrheit auch Beziehungsfrage – nicht nur Behauptung.